The Day After Tomorrow (2024)

Ein Tornado reißt mit Brachialgewalt die Buchstaben aus dem legendären „Hollywood“- Schriftzug an den Hügeln von Los Angeles. Das kreisrunde Gebäude von Capitol Records wird „zerfleddert“, als würde man eine Nussschale knacken. Riesige Trümmer fliegen herum wie achtlos weggeworfene Papiertaschentücher und zerschmettern einen Nachrichten-Mann vor Ort. Ein gewaltiger Öltanker schiebt sich menschenleer durch die überfluteten Straßenfluchten New Yorks, bis sein Rumpf auf einen durcheinander gewirbelten Knäuel aus Autos und Bussen aufläuft. Dann kommt die Kälte: Die amerikanische Fahne gefriert zum eisigen Brett, die Trümmer der Freiheitsstatue bekommen gigantische Eiszapfen, die Menschen erstarren innerhalb von Sekunden zu Eissäulen. Militär-Helikopter fallen vom Himmel wie mitten im Flug gestorbene Vögel. Nichts geht mehr, nirgendwo auf der nördlichen Halbkugel. Weder in Tokyo, wo riesige Hagelkörner die Menschen erschlagen, noch in Neu-Delhi, wo alles in Schnee versinkt. Der Blick vom Weltall aus eröffnet Unvorstellbares: Die Welt im tödlichen Winterschlaf – das Ende.

„Es ist fünf vor zwölf!“ So heißt die Floskel, mit der unbequeme Wahrheiten, eindringliche Warnungen sowie eine Prise Hoffnung verkauft werden sollen. Sie wiegt uns Menschen (noch) in Sicherheit und lässt uns im günstigsten Fall innehalten in unserem fatalen Tun. In einem Katastrophenfilm à la Hollywood ist es dabei nie später als fünf vor zwölf, denn letzten Endes geht es im Kommerz-Kino immer auch um Unterhaltung, mag noch so Schreckliches auf der Leinwand geschehen. Will man einen Box- Office-Erfolg landen, ist deshalb am Ende der Geschichte die Erde auch nie ganz zerstört: Man ist noch einmal davon gekommen. Pessimismus wie etwa in diversen Atomkriegsdramen wird entweder in ambitionierten Fernsehproduktionen („The Day After, fd 24 316) verbreitet oder stammt von singulären kritischen Geistern („Angriffsziel Moskau“, fd 13 441). Die Regel aber ist, dass ein allzu düsteres Endzeit-Spiel (etwa „Lautlos im Weltraum“, 1971) an der Kinokasse durchfällt. Hoffnungslosigkeit wie in den Animationsfilmen „Die letzten Glühwürmchen“ aus Japan (1988) oder „Wenn der Wind weht“ (fd 25 919) aus England sucht man in Hollywood vergebens. Für Regisseur Roland Emmerich ist es dennoch „fünf nach zwölf“, wenn er in seinem bombastischen Endzeit-Szenario auf die Verfehlungen der Zivilisation blickt: Alle Fehler, die die Menschheit machen konnte, wurden begangen, man hat dafür immer wieder Rechtfertigungen gefunden. Die Wirtschaftswelt sei ein ebenso fragiles System wie die Natur, lässt Emmerich den amerikanischen Vizepräsidenten auf einer Tagung auf die Supergau-Warnung des Klimaforschers Jack Hall dozieren; würde man sie aus dem Gleichgewicht bringen, koste dies Milliarden. Dass der arrogante Politiker mit dieser Annahme falsch liegt, zeichnet sich schon kurz nach dem Krisenbeschwichtigungsgipfel ab. Denn Jack Hall hat Recht: Die durch die globale Erwärmung schmelzenden Polkappen führen zum Umkippen des Wettergefüges; zu große Massen an Süßwasser füllen die Ozeane, die Meeresströmungen, die das Erdklima stabil halten, werden unterbrochen. Tornados und Überschwemmungen verwüsten die Küstenzentren der USA sowie der restlichen zivilisierten Welt. Dann beschert ein gigantischer Sturm der nördlichen Hemisphäre die neue Eiszeit. Die Reichen müssen – so sie überleben – bei den Armen im Süden unterschlüpfen, was der „Rache der Natur“ eine soziale Dimension beimischt. Die Opfer in Emmerichs apokalyptischem Menetekel sind so unermesslich groß, dass sie gar nicht weiter benannt werden brauchen. Binnen weniger Tage verzeichnet der Norden der USA kaum Überlebende, und der Süden flüchtet über die Grenze – nach Mexiko.

Emmerich hat „The Day After Tomorow“ für etwa 100 Mio. Dollar innerhalb der Maschinerie Hollywood gedreht. Dafür bemüht er sich um das Kunststück bzw. den Kraftakt, sowohl die physische Situation des „Fünf nach zwölf“ spektakulär zu zeigen als auch ein nachvollziehbares Gefühl davon zu vermitteln. Dabei bewegt er sich auf klassischem Terrain und bedient vertraute dramaturgische und narrative Konventionen. So verpackt er das finale Katastrophenszenario in eine höchst emotionalisierende Familiengeschichte, die sich vor allem auf eine Vater-Sohn-Beziehung konzentriert. Als das Unglück gerade erst beginnt und noch kaum jemand an den Untergang der Welten denkt, vertritt Halls Sohn Sam die Fahnen seiner Schule in einer Wissensolympiade in New York. Sams letzte Lebenszeichen bekommen Vater und Mutter aus der dortigen Stadtbibliothek, als nach der Überschwemmung die Metropole zu Eis erstarrt.

Jack lässt seine Frau, die als Ärztin in Washington gebraucht wird, zurück und macht sich mit zwei Kollegen auf die wenig hoffnungsvolle Expedition, um seinen Sohn und dessen Freunde zu retten. So kitschig diese Nebenhandlung klingt und so sinnlos das Unterfangen in der urbanen Eiswüste auch erscheinen mag, so überraschend dezent fügt es sich in einen Film ein, der die Erwartungen an ein typisches „Emmerich-Kino“ auf angenehme Weise enttäuscht. Mit Filmen wie „Stargate“ (fd 31 223), „Independence Day“ (fd 32 118) oder „Godzilla“ (fd 33 303) hat der nach Los Angeles ausgewanderte Schwabe seit Mitte der 1990er-Jahre mehr oder minder unerträgliche Hymnen auf amerikanische Tugenden geschaffen. Als habe er dabei ein schlechtes Gewissen bekommen, hält er sich in nun mit explizitem Hurra-Patriotismus zurück, zeigt ein politisch gescheitertes Land und beschränkt sich auf den Kern aller Hollywood-Modelle: den Erhalt der (Klein-)Familie, die mit Dennis Quaid, Sela Ward und dem „exzentrischen Antihelden“ Jake Gyllenhaal als Sam gegen den Strich besetzt ist.

Gleichgültig, in welche Richtung die Botschaft seiner Filme auch tendiert, fürs Dirigieren der Spannungskurve hat Emmerich stets ein Händchen gehabt. In dieser Beziehung gelingt ihm mit „The Day After Tomorrow“ sein Meisterstück. Das erste Drittel des Films, in dem die Vorboten der Katastrophe in immer mehr Details kulminieren, bis sie in den Tornados über Los Angeles und der Flutwelle von New York einen ersten Höhepunkt finden, ist perfekter „Thrill“. Emmerich schafft effektvoll eine diffuse Stimmung der latenten Bedrohung, bei der die Spezialeffekte aus dem Computer ein Stück weit ihre Künstlichkeit verlieren. Damit ist sein Film vergleichbaren Werken wie etwa Wolfgang Petersens „Der Sturm“ (fd 34 358) haushoch überlegen.

Emmerichs Popkorn-Kino würde man freilich nicht annähernd gerecht, wenn man es mit einem etwaigen Realismus-Aspekt konfrontieren würde. Den Beteuerungen mancher Wetter-„Gurus“ und Werbestrategen zum Trotz: „The Day After Tomorrow“ ist weder eine wissenschaftliche Projektion noch eine auf Wahrscheinlichkeit angelegte Spekulation. Wie jeder gute Katastrophenfilm bedient er sich existenter Ängste und Gefahren, um mit ihnen zu spielen. Ob das alles so je passieren kann oder wird, das ist dabei ebenso unwichtig wie es in den Katastrophen- Prospekten der 1950er-Jahre war. Emmerich hat effektvolles, „physisches“ Unterhaltungskino geschaffen, bei dem sich der vertraute Alltagsblick aufs urbane Lebensgefüge zur aberwitzig-bizarren Karikatur architektonischer Höhenflüge wandelt: Glas und Stahl, Stein und Beton – alles verschwindet unter Wasser, Schnee und Eis, was neue Perspektiven und Blickwinkel schafft. Ein visuelles Spektakel von fast schon betörender „Schrecklichkeit“, das bestaunt werden will. Hören sollte man indes, da hat der Film mit seiner schlichten Botschaft durchaus Recht, auf die Experten.

The Day After Tomorrow (2024)
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Author: Ouida Strosin DO

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